Dienstag, 6. Januar 2015

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Über das Treiben


„Jetzt kommen sie schon raus da.“, bittet der Mann in Bermuda-Shorts und ein flehender Unterton bewirbt sich um die Rolle des Obertons.
„Nein.“, sage ich und schicke ein Paar verschmitzte Wassertropfen in Richtung seiner entblößten Schenkel.
Armer Mann. Armer, armer Mann, der aus beruflichen Gründen gezwungen ist, violette Bermuda-Shorts mit gelbem Bananenstaudenprint zu tragen. Armer Mann. Bestimmt wird er viel bemitleidet. Von mir, von Joachim Gauck, für den das Mitleid eine berufliche Schlüsselqualifikation darstellt, von Kentucky Fred Chicken, dem überlebensgroßen Maskottchen eines nahe gelegenen Bräters, welches Kundschaft Tag ein Tag aus mit Gackern und allerlei Kapriolen zum Schmaus verführen soll. Armer Mann.
„Nein.“, sage ich und winke ihm zu.

Es war die Zeit zwischen den Weihnachtsfeiertagen und Silvester, jene Namenlose Zone des Wartens, von Menschen auf der ganzen Welt im Geiste gemeinsam verdauend auf der Couch verbracht. Es waren jene seligen Tage Niemandsland, da alle Verwandten besucht und alle Freunde auf später vertröstet worden waren, weil man anstatt mit ihnen Silvester zu feiern einfach weiter auf der Couch verdauen wollte. Ich hatte eine Pause bitter nötig, so riet es mir auch der Kaufhausweihnachtsmann, den ich erst wenige Tage zuvor auf der Suche nach einem Geschenk, das nicht schon wieder ein Buch sein durfte, freundschaftlich fragend gewürgt hatte. Der von meinen Schultern abfallenden Feiertagsstress schlug eine Delle ins Parkett und darin hockend beschloss ich, mein Heil in der Flucht zu suchen.
Großtante Gerlanda hatte mir einen Gutschein für einen Tag im Spaßbad „Amazo-nass“ geschenkt. Darauf waren spielende Kinder abgebildet, die auf dem Rücken einer Boa Constrictor ins Wellenbad hinabrutschten, wo leicht bekleidete Nixen schon mit Cocktails auf sie warteten. Verdammt wollte ich sein, wenn das nicht alles war, was ich jetzt brauchte. Gut, sowohl auf die Kinder als auch auf die Fischweiber hätte ich verzichten können. Was macht man mit einer Frau, deren Unterleib der eines Fisches ist? Ins Kino ist nicht und auch meine einzige witzige Anekdote darüber, dass entkräftete Matrosen dereinst Seekühe für Meerjungfrauen hielten, wäre da wohl verschwendet. Im schlimmsten Fall würde mich die Nixe fragen, ob ich sie fett fände und ich würde antworten: „Ja, aber Fischfett ist doch verdauungstechnisch eine ganz eigene Kategorie.“
Nee, das muss so nicht. Aber Riesenschlangen und Alkohol surften voll auf meiner Wellenlänge und so packte ich die Badehose in den Rucksack und setzte mich in die S-Bahn.

Vor Ort, konnte ich meine Enttäuschung dann doch nur schwerlich verbergen. Der angekündigte Regenwald erwies sich als drei Palmen hinter einem Plastikzaun und das einzige, das einer Schlange auch nur entfernt ähnlich gewesen wäre, waren die vielen Poolnudeln, die von Badenden vergessen neue Heimat zwischen meinen Beinen fanden und mich noch im Sturz erkennen ließen, dass der Sandstrand auch kein Sand, sondern eine Bild von Sand auf Beton gemalt war.
Immerhin, an rutschenden Kindern war reichlich geboten. Sie rutschten von den Rutschen, den Beckenrändern, aus den Armen ihrer Eltern mir mitten in den Nacken und dann den Buckel runter, wobei ich sie um letzteres erst bitten musste.
Außerdem war es im Schwimmbecken sehr voll. Immer, wenn junge Väter irgendwo noch einen Sohn oder eine Tochter samt Schwimmflügelchen ins Wasser pressten, flitschte auf der anderen Seite jemand wieder hinaus. Dafür war ich dankbar, denn auf andere Weise hätte ich das Becken nie und nimmer verlassen können. „Flitsch“ machte es und nach kurzer Flugphase fand ich mich in der Saunalandschaft wieder.
Das erkannte ich nicht am gedimmten Licht und auch nicht den 95° Raumtemperatur, sondern an den Großvätern, die mich, praktisch noch im katapultiert werden begriffen, anmotzten, dass Badehose in der Sauna verboten sei. Auch so ein Grund, warum ich nie ein großer Saunafan geworden bin. Ich finde es unnatürlich, sich freiwillig in einen sehr heißen, abgedunkelten Raum voller nackter Großväter zu setzen. Ich möchte hier keine bräsigen Renterklischees bedienen, doch die Falten, Gräben und Überhänge aus Haut lassen mich den Begriff „Saunalandschaft“ immer wieder aufs Neue missverstehen. Wenn ich schwitzen möchte, lungere ich in Apotheken rum, bis ich die Grippe kriege. Einmal brachte ich Olivenöl und meine italienische Gewürzmischung mit in die Sauna und machte damit einen Aufguss „Toscana“, was unseren Schweiß noch auf Tage hinaus lecker nach Quattro Stagioni riechen ließ. Aber nicht dieses mal. Dieses mal machte ich mich schnell vom Acker und fand dahinter das Paradies.

Links neben der Pommesbude und unter dem Wasserrutschenlooping versteckte sich ein kleines Becken, in dem Pumpen und Gebläse das Wasser immerfort im Kreis strudeln ließen. Es war perfekt! Hier hatte ich nichts anderes zu tun, als mich mitreißen zu lassen. Endlich konnte ich abschalten, mich auf den Rücken geworfen fremden Kräften ergeben, aber ganz ohne Angst. Keine Angst vor der Arbeit, vor der Zukunft oder der Vergangenheit in den Händen der falschen Leute. Einfach nur Frieden und sich kreisförmig wiederholende Beständigkeit. Hier konnte man die Fliesen an der Decke zählen oder sich von den Sprühdüsen sanft die Hornhäute raspeln lassen. Man konnte Gespräche über Philosophie mit seinen Mittreibenden führen oder einfach nur zusammen schweigen, wenn man Gespräche in der Wanne dann doch irgendwann für zu intim befindet.
Es war perfekt. Es war Zen.

„Jetzt kommen sie doch endlich mal raus da.“, bittet der Bademeister.
„Nein.“, flöte ich.
„Alle anderen sind schon lange gegangen. Und ich würde auch gerne mal absperren“, sagte er.
„Wir sehen uns morgen.“, sage ich.
„Nun seien Sie doch mal vernünftig. Was mache ich denn, wenn Sie hier nachts abgluckern, hä?“, fragt er.
„Dann freuen Sie sich für mich, der ich einen glücklichen Tod gestorben bin.“, antworte ich.

Anmerkung: Die schriftliche Form gibt das Tempo dieses Dialogs nur unzureichend wieder. Da der Protagonist, also ich, in dieser Geschichte immerfort im Kreise treibt, der Bademeister jedoch fest an seinem Platze steht, und der Bademeister zudem Halsschmerzen hat, was ihn nicht gut rufen können lässt, ergibt sich immer nur dann eine Möglichkeit zum Austausch, wenn der Protagonist, also ich, gerade einmal direkt an ihm vorbeitreibt. Daher spielt die hier wiedergegebene Szene, auch wenn es sich anders liest, in Wirklichkeit über mehrere Stunden hinweg. Vielleicht stellen Sie sich zwecks Visualisierung den Bademeister mit stetig dichter werdendem Bart vor. Auf jedem Fall aber verbiete ich Ihnen, sich mich in Badehose vorzustellen, weil ich mich vor Ihrem Urteil geniere.

„Was machen Sie denn, wenn Sie Hunger kriegen?“, fragt der Meister.
„Dann mache ich es wie die Wahle und lebe von dem, was ich mit den Zwischenräumen meiner Zähne filtern kann.“, sage ich.
„Und wenn Sie mal müssen?“
„Als ob ich hier heute der erste wäre.“, gebe ich zurück.
„Touché.“, sagt der Bademeister. Dann schlägt ein Komet ein und vernichtet das Spaßbad.

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